Karneval ist mehr als nur eine große Party

Ein kurzer Bericht vom Freude schenken

Der Spaß an der Freude, das ausgelassene Feiern, sich verkleiden und in eine andere Rolle hineinschlüpfen, singen, tanzen, bützen, mal so richtig auf die Pauke hauen und sich selbst des Lebens freuen -all das gehört zum Karneval. Vergnügen, das dem eigenen Ego dient.

 

Es gibt aber noch eine andere Seite im Karneval: Die leise, uneigennützige. Das soziale Engagement der aktiven Karnevalisten während der fünften Jahreszeit wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, obwohl auch hier viele kleine Dorfvereine einen Beitrag leisten. Stellvertretend für alle, die sich auf karnevalistische Weise im Rahmen ihrer Möglichkeiten für sozial Benachteiligte engagieren, folgen wir der Prinzengarde Weiß-Rot Röttgen an einem Nachmittag zu ihren Auftritten in ein Seniorenheim und in eine Einrichtung für Schwerstpflegebedürftige.

 

Auftritte von Kindern berühren die Senioren besonders

„Wir sind mit unserer Prinzengarde und dem Röttgener Kinderprinzenpaar hier her gekommen, um Ihnen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern“, beginnt Willi Juchem, 1. Vorsitzender der Prinzengarde Weiß-Rot Röttgen, nach einem kräftigen „Alaaf“ seine Ansprache im Seniorenhaus Maria Einsiedeln am Venusberg.

 

Im Raum sitzen circa vierzig Seniorinnen und Senioren. Viele von ihnen im Rollstuhl, einige haben ihre Rollatoren in Reichweite. Doch schon beim Einmarsch herrscht hier gute Stimmung. Die meisten sind gut drauf, Tragen Papphütchen, Matrosenmützen oder andere jecke Kopfbedeckungen, Hauptsache bunt. Herren in bunt karierten Westen und mit großen farbenfrohen Fliegen um den Hals, Frauen mit knallbunten Federboas.

 

Die kleinsten der Prinzengarde im Alter von 4 bis 9 Jahren sind heute mitgekommen. Die Mädchen in ihren rot-weiß karierten Kleidern, die kleinen roten Hütchen pfiffig auf den Köpfen und die Jungen dazu passend in rot-weiß kariertem Hemd und Lederhose mit Tirolerhut, maschieren gemeinsam ein mit dem Röttgener Kinderprinzenpaar Prinz Simon I. und Prinzessin Lilli II. Sie alle begeistern sofort. Tatsächlich scheint Willi Juchems Ankündigung aufzugehen: Die Menschen klatschen und lächeln. Nur wenige zeigen so gut wie keine Regung. „Das muss nichts heißen“, sagt Seniorenhausleiter Jan Gawol. „Wir haben in unserer Einrichtung auch unterschiedlich demente Menschen. Manchen sieht man die Freude nicht gleich an, aber tief in ihrem Inneren wird etwas in Gang gesetzt. Manchmal summen sie Tage später leise eines der Lieder vor sich hin oder erinnern sich an kleine Details.“

 

Die Tanzfläche für die Kids ist beengt und die Luft im Raum ist mittlerweile stickig, hier und da macht sich leichter Uringeruch bemerkbar.

 

Und die Kinder der Garde? Sie lächeln und tanzen.

 

Die Senioren sind dankbar. Einer von ihnen lässt sich schnell das Mikrofon bringen: „Es war uns eine große Freude, dass ihr zu uns gekommen seid“, sagt er, „Über 30 Jahre lang bin ich in Röttgen im Karnevalszug mitgegangen, heute kann ich das alles nicht mehr, umso so schöner war es, die jungen Tänzerinnen und Tänzer sowie einen überaus geschmeidigen Prinzen mit seiner charmanten Prinzessin erleben zu dürfen.“ Und welch ein Zufall: Das Enkelkind des alten Herren ist in der gleichen Schulklasse wie das Prinzenpaar. Zum Schluss werden noch Orden verliehen an die Heimleitung und die älteste Person im Raum –eine Frau von 94 Jahren. Beim Auszug winken alle nochmal freundlich und das Prinzenpaar drückt noch rasch einige Hände, die ihnen entgegenstreckt werden, bevor es zum nächsten Auftritt geht.

 

Manchmal ist "Freude schenken" nicht so einfach

Für die Kinder anscheinend kein Problem. Ich frage das Kinderprinzenpaar, wie sie den Auftritt empfunden haben. Beide sind zufrieden und sind sich sicher, den alten Menschen eine große Freude bereitet zu haben, auch wenn man es dem ein oder anderen nicht unmittelbar anmerken konnte. „Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Menschen uns genau beobachten und manchmal kann man auch ein Leuchten in den Augen erkennen“, sagt Simon I. Der Auftritt am Venusberg: problemlos.

 

„In einem anderen Seniorenheim“, erzählt Simon habe ihm eine Seniorin einen „richtig dicken Schmatzer auf die Wange gegeben“ und ihn „eine Ewigkeit gerückt.“ Für Simon eine unangenehme Erfahrung, wie er zugibt. „Ja“, bestätigt seine Mutter Anja Butscheid. „An diesem Abend gab es zu Hause dann doch Gesprächsbedarf.“ Heute sagt Simon schulterzuckend: „Vermutlich hatte die Oma sonst niemanden mehr oder ihre Enkel wohnen vielleicht weit weg, so dass ich in diesem Moment herhalten musste. Es war nicht schön, aber es ist okay.“ Er und auch die anderen Kinder sind sich einig: Sie wollen ihre eigene Freude am Karneval weitergeben.

Unbefangen und gut vorbereitet begegnen die Kinder ihrem Publikum

„Schon seit Jahren absolvieren wir in jeder Session circa drei bis vier Auftritte in Seniorenheimen und verschiedenen Behinderteneinrichtungen“, erklärt Juchem. Natürlich nimmt der Verein die Kinder nicht unvorbereitet mit dorthin und nimmt vor diesen Auftritten auch immer die Eltern der Kinder mit ins Boot. „Per mail erinnere ich die Eltern rechtzeitig an diese speziellen Auftritte, damit sie ihre Kinder entsprechend einstimmen und vorbereiten können“, sagt Jugendbetreuerin Anita Thomas. Trotzdem bereitet Juchem alle Kinder vor der Abfahrt im Vereinsheim nochmals kurz auf das zu erwartende Publikum vor, erklärt, dass es sich um kranke, oft bettlägerige Menschen handelt, die sich nicht immer so verhalten oder so aussehen „wie du und ich“. Aber sie alle würden sich auf den Auftritt der Garde freuen. „Die kranken Leute können ja nicht immer nur im Bett liegen. Die müssen ja auch mal raus und was anderes sehen“, kommentiert Mira (6 Jahre) wie selbstverständlich.

Kleine Glücksmomente auf leisen Sohlen

Eine Herausforderung ist der Auftritt im „Haus am Stadtwald“ in Bad Godesberg. In dem Versorgungszentrum für schwerstpflegebedürftige jüngere Erwachsene wird die Prinzengarde von Menschen erwartet, die an ausgeprägten neurologischen Schädigungen leiden, hervorgerufen durch traumatische Ereignisse, cerebrale Gefäßkrankheiten, akuten Sauerstoffmangel, entzündliche Prozesse oder Tumorerkrankungen des Zentralnervensystems.

 

Auch hier ist die Stimmung gut. Der Raum ist mit Luftballons, Girlanden und Luftschlangen geschmückt. Rollstühle stehen dicht an dicht. Hier gibt es kaum jemanden, der nicht an den Rollstuhl gefesselt ist. Junge Menschen mit verformten Gelenken, offenen Mündern, die Blicke starr an die Decke geheftet, beinahe neben jedem Rollstuhl ein Urinbeutel oder ein Sauerstoffgerät. Das Pflegepersonal und einige Verwandte feiern mit.

 

Und die Kinder der Garde? Sie lächeln und tanzen.

 

Für Irritation sorgen die lauten, nur schwerfällig artikulierten Zwischenrufe eines Patienten. Dennoch lassen sich Prinz und Prinzessin während ihrer Rede nicht aus dem Konzept bringen, machen weiter und rufen ihrem Publikum ein kräftiges und fröhliches „Dreimol vun Hätze Alaaf“ zu. Und auch hier: Beifall, lächelnde, da und dort auch teilnahmslos scheinende Gesichter. Eins aber scheint geglückt: Der fröhliche Auftritt der Garde und des Prinzenpaares war für die Menschen hier eine kurze Ablenkung von der Tristesse des Klinikalltages und ihres Leidens.

 

„Auch wenn das Verhalten einiger Menschen uns komisch vorkommt, die Leute können ja nicht dafür, dass sie krank sind. Deshalb geben wir trotzdem unser Bestes. Nach solchen Auftritten gehe ich mit dem Gefühl nach Hause, Menschen eine Freude gemacht zu haben und das macht auch mich irgendwie glücklich“, sagt Lilli bei der Heimfahrt.

 

„Die Kinder gehen sehr viel unvoreingenommener und unbekümmerter auf alte und behinderte Menschen zu“, erzählt Christina Schaaf, deren Tochter in der Prinzengarde tanzt. „Letztes Jahr war meine Tochter z. B. absolut fasziniert von der Begegnung mit einer Hundertjährigen. Dieses biblische Alter erfüllte sie gleichermaßen mit Erstaunen und Respekt. Ohne die Auftritte mit der Garde in Seniorenheimen und anderen Einrichtungen hätte sie diese und andere Erfahrungen vermutlich nicht gemacht.“

 

Seit Jahren schon sind Auftritte in Seniorenheimen und Behinderteneinrichtungen fest im Terminplan der Prinzengarde verankert. „Davon rücken wir auch nicht ab“, so Willi Juchem. „Im Karneval steht die Freude im Vordergrund und zwar, die, die man selbst empfindet genauso wie die, die man anderen bringt.“

 

Und die schleicht sich oft auf leisen Sohlen an und dringt peu à peu in die Herzen der Menschen vor.

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