Ein Interview mit Marita Bagdahn
„Ein Schriftsteller feilt so lange an seinem Werk, bis beide vollkommen überarbeitet sind“. So sagt und hält es jedenfalls Poesiepädagogin Marita Bagdahn aus Ückesdorf mit ihren Werken. Ihre Genres sind: Aphorismen, Erzählungen, Kurzgeschichten, Kurzkrimis, Miniaturen, Märchen, Fabeln und Lyrik. Die Autorin faszinieren der kreative Umgang mit Sprache sowie die Herausforderung die Dinge bissig bis gewitzt auf den Punkt zu bringen: „Ein Aphorismus bringt es auf den Punkt, am besten auf den wunden.“ So formuliert sie es selbst.
Marita Bagdahns Texte erschienen in Anthologien, Literaturzeitschriften und im Internet, sie ist Preisträgerin bei verschiedenen Schreibwettbewerben. Auch in ihrem neuesten Buch „Die Freundin“, das im September dieses Jahres erschienen ist, spielen ihre Geschichten auf der Klaviatur des Lebens von ernst bis heiter.
Die Autorin schreibt aber nicht nur selbst. Sie bietet auch Workshops zum Kreativen Schreiben an. In kleinen Gruppen oder auch im Einzelcoaching erhalten Teilnehmer Schreibimpulse, wertvolle Tipps zum Kreativen Schreiben und Tricks, wie man den inneren Zensor zum Schweigen bringt oder zumindest eine Weile vertröstet, um in einen Schreibflow zu gelangen. Die Teilnehmer bringen ihre Gedanken und Geschichten zu Papier, über die sie sich anschließend in wertschätzender Atmosphäre austauschen können.
Seit 1996 lebt und arbeitet die gebürtige Ostwestfälin Marita Bagdahn in Ückesdorf. Als freischaffende Autorin und Poesiepädagogin ist sie allerdings erst oder immerhin schon seit 2007 tätig.
Frau Bagdahn, Sie haben lange Zeit als Diplom-Verwaltungswirtin gearbeitet, bevor Sie zum Kreativen Schreiben gekommen sind. Was war der Auslöser für Ihren Ausbruch aus der
Amtsstube und dem „trockenem“ Behördenjargon ins kreative Fach?
Einen konkreten Auslöser gab es eigentlich nicht; vieles kam zusammen - beruflich und im privaten Umfeld. Geschrieben habe ich immer gern: Schulaufsätze, Tagebuch, Briefe. Erst als Erwachsene kam der intensive Wunsch, mich näher mit dem Schreiben zu beschäftigen, zunächst aber nur als Hobby. Mit Ende 40 tauchte dann die Frage auf: Was willst du in deinem Leben wirklich machen? Woran hängt dein Herz? Zwei Dinge kamen dabei heraus: Ich will mit Menschen und mit Sprache arbeiten.
Es folgten die Teilnahme an der FrauenSchreibSchule KALLIOPE bei Monika Winkelmann in Bonn und Lisa Becker-Saaler in Saulheim sowie ein Fernstudium für Literarisches Schreiben bei der Cornelia Goethe Akademie in Frankfurt. Während in der Akademie der Focus auf den Schreibtechniken liegt, beschäftigt sich die FrauenSchreibSchule KALLIOPE in erster Linie mit dem intuitiven Schreiben. Seit 12 Jahren geben Sie selbst Kurse im Kreativen Schreiben. Worauf legen Sie in Ihren Workshops besonderen Wert?
Ich möchte die Teilnehmer ermutigen ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Das spontane
Schreiben aus dem Bauch heraus steht bei meinen Kursen im Mittelpunkt. Jeder soll über das schreiben können, was ihn bewegt und gerade interessiert. Im gegenseitigen Austausch nehmen die Teilnehmer neue Ideen und Anregungen mit.
Zum Einstieg gebe ich gern Impulse vor wie z.B. ein Foto, zu dem ein Text verfasst werden soll, oder Gedanken zum eigenen Vornamen. (Woher kommt er? Mag ich ihn oder nicht? Welchen hätte ich vielleicht lieber gehabt?) Hier und da gebe ich auch Tipps zum Schreibstil und zu Schreibtechniken. Aber diejenigen, die sich speziell für literarisches Schreiben und das Handwerkszeug dazu interessieren, sind im Angebot „Wort-Werkstatt“ besser aufgehoben. Hier geht es darum, was eine gute Geschichte ausmacht. Wie man Plot und Figuren entwickelt. Wie ein Spannungsbogen entworfen wird, was einen guten Dialog kennzeichnet und welche Erzählperspektiven es gibt.
Generell ist mir wichtig, dass die Teilnehmer das Schreiben als eine Methode zum Innehalten und Erfassen ihrer Gedanken und Gefühle begreifen und die Scheu vor dem Schreiben und einem weißen Blatt Papier ablegen.
Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Ergänzen Sie: Schreiben und Lesen ….
… erdet und verleiht Flügel.
Ihr neues Buch mit dem Titel „Die Freundin“ verspricht eine turbulente Reise durch menschliche Gefühlswelten. Verraten Sie uns etwas zur Entstehung des Buches und was den Leser erwartet?
Ich suchte schon lange nach einem Verlag, der meine Geschichten veröffentlicht. Einige davon lagen bereits Jahre „in meiner Schublade“, einige hatte ich schon auf Lesungen vorgetragen. Andere Geschichten sind relativ neu. Eine Schwierigkeit für mich: Es sind ernste Themen und Geschichten neben „leichten“, humorvollen oder skurrilen. Deshalb
habe ich das Buch in zwei große Kapitel eingeteilt: „Die ernsteren Seiten des Lebens“ und „Mit Humor gewürzt“. Der letzte kurze Text (Verdursten) ist eine kleine Zugabe, außer Konkurrenz sozusagen.
Eine Weihnachtsgeschichte ist übrigens auch dabei: "Das Weihnachtsgeschenk", und es gibt einen Dialog zwischen Sigmund Freud und Schneewittchen.
Eine zarte Freundschaft in schweren Zeiten.
Ein Bienenstich und ein Familiendrama. Schneewittchen auf Sigmund Freuds roter Couch. Ein Hut erlebt das berühmte Pferderennen Royal Ascot.
Die Bonner Autorin Marita Bagdahn erzählt facettenreich von den ernsten und von den heiteren Seiten des Lebens. Siebzehn Geschichten über Freundschaft, Liebe, Hass, Angst – und über das Unerwartete.
ISBN 978-3-947759-00-2
www.Kid-Verlag.de
Was bedeutet Sprache für Sie? Wenn ich Ihren Aphorismus vom Anfang nochmal aufgreife, in dem Sie sagen, dass ein Schriftsteller so lange an seinem Werk feilt, bis beide überarbeitet sind, klingt das aufwendig, geradezu uncool in Zeiten von Facebook, Twitter und Co.
Ja, der heutige Gebrauch von Sprache in der Werbung und auf den von Ihnen angesprochenen und anderen Medien, auf der Straße sowie in der politischen Diskussion macht mir in der Tat zu schaffen. Die Verstümmelung und vor allem die zunehmende Verrohung der Sprache finde ich beunruhigend. Denn Sprache formt unser Denken, unser Tun und unsere Gesellschaft. Was mir heute fehlt, ist die Wertschätzung, für die Menschen und all die kleinen und großen Dinge, die uns umgeben.
Was meinen Sie: Formt Schreiben die Persönlichkeit oder formt die Persönlichkeit das Schreiben?
Beides. Wenn ich mich auf das freie, spontane Schreiben einlasse - egal, ob autobiographisch oder nicht - wirkt das auch immer auf mich zurück. Hier kann ich ganz neue Seiten an mir entdecken, mich überraschen lassen, ausprobieren, Perspektiven wechseln oder ungewohnte Perspektiven einnehmen. Was mag eine Tür denken, was eine Zahnbürste?
In schwierigen Zeiten hat mir das Schreiben immer geholfen: etwas loswerden, etwas klären, Abstand gewinnen. Glücksmomente kann ich mit eigenen Worten festhalten und würdigen.
Als Autorin gehe ich bewusster durch die Welt und den Alltag, weil ich einfach sensibler geworden bin und natürlich auch viele kleine Alltagsbegebenheiten für die Geschichten brauche. Manchmal sind und handeln die Figuren in meinen Geschichten auch sehr fies und gemein, obwohl ich mich nicht so sehe. Anders gesagt: Ich kann schreibend auch meine „dunklen Seiten“ ausleben, ohne es in der Realität zu tun. Das ist u. a. das Heilsame am Schreiben.
Ja, das Schreiben hat mich und meine Persönlichkeit verändert. Durch das Schreiben lerne ich mich selbst besser kennen, denn ich schreibe über etwas, das mich reizt, bewegt oder einfach anspricht. Und selbst beim vorgegebenen Thema packe ich es so an, wie es für mich in dem Moment passend ist. Ich kann frei entscheiden, was ich machen möchte und was nicht.
Und seitdem ich als Autorin nicht nur für mich und den Moment, sondern auch mit Blick auf mögliche Leser*innen schreibe, hat sich noch einmal ein neuer Blickwinkel ergeben. Mein
Schreibstil hat sich verändert, und ich freue mich, dass ich z. B. das trockene Verwaltungsdeutsch auch in meinen Mails ablegen konnte. Und natürlich habe ich viele, viele interessante Menschen kennen gelernt, zum Teil begleitet, und manche Freundschaften sind entstanden.
„In der Kürze liegt die Würze“. Sie schreiben hauptsächlich kurze Prosa, Gedichte und
Erzählungen. Was reizt Sie daran? Oder wird doch nochmal ein Roman oder Krimi von Ihnen erscheinen?
Ich bin keine Marathonläuferin, auch keine „Schnellschreiberin“. Ich überarbeite meine Geschichten, Gedichte und auch die Aphorismen immer recht lange. Sie wissen ja: „Ein Schriftsteller feilt so lange ….“
Bisher hat mich keine Idee so stark gepackt, dass ich darüber einen Roman schreiben wollte. Das heißt nämlich, dass die Begeisterung dafür mindestens ein Jahr lang so anhält, dass ich in der Zeit intensiv daran arbeite und nicht die Lust verliere. Ich bin nicht immer so diszipliniert wie es für einen Roman sein müsste …
Und Krimi? Nein, ich möchte nicht auf den Zug „Regionalkrimis“ aufspringen, nur weil der im Moment so boomt.
Woher nehmen Sie Ihre Schreibimpulse?
Von überall: Bücher zum Kreativen Schreiben, aus Kursen, die ich selbst besucht habe, Fotos, Bilder, Zeitungsüberschriften, Satzanfänge, Gesprächsfetzen, Radio und Fernsehen, spontane Ideen, Wortspielereien, besondere Anlässe wie z. B. der Internationale Frauentag, der Weltspartag, und vieles mehr.
Meine Antennen sind immer auf Empfang gestellt.
Wie sieht Ihr schriftstellerischer Alltag aus?
Ich schreibe tagsüber, auch abends, feste Schreibzeiten habe aber –auch wegen der Kurstermine und anderen variablen Terminen- keine. Bis spät in die Nacht schreibe ich nur noch selten, weil es sonst mitunter mit dem Einschlafen schwierig wird.
Sie haben bereits zahlreiche Auszeichnungen für Ihre Kurzerzählungen, Aphorismen und Gedichte erhalten. Welches sind Ihre persönlichen Highlights?
Natürlich habe ich mich über die vielen Auszeichnungen gefreut und fühle mich geehrt. Aktuell freue ich mich, dass der Verleger, Herr Weingartz, mein Manuskript für „Die Freundin“ in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat und das Buch im Herbst erschienen ist. Die anderen Werke sind in Anthologien oder im Selbstverlag erschienen.
Lesungen sind immer etwas Besonderes, weil es dabei den direkten Kontakt zum Publikum
gibt. Ein besonderes Highlight ist sicherlich die Leipziger Buchmesse im März nächsten Jahres, auf der ich aus meinem neuen Buch lesen werde.
(Freitag, 22. März 2019, 10.40 Uhr: Marita Bagdahn – Lesung aus der Neuerscheinung „Die Freundin“, Leipziger Buchmesse, Halle 5, Great & Read-Bühne)
Welche literarischen Vorbilder haben Sie und was beeindruckt Sie daran besonders?
Viele! Im Bereich Kinder- und Jugendbuch sind dies vor allem Kirsten Boie, Christine
Nöstlinger und Andreas Steinhöfel.
Momentan lese ich begeistert Stephan Thomes Roman „Fliehkräfte“. Imponiert haben mir
auch Zsuzsa Bank mit „Die hellen Tage“, Hanns-Josef Ortheil mit seinen Büchern „Die
Erfindung des Lebens“, „Die Moselreise“, „Der Stift und das Papier“.
Ich mag und mich beeindrucken die Geschichten mit ihren Figuren, die überraschenden
Wendungen und der Ideenreichtum. Bewundernswert finde ich die mäandernde, bildreiche Sprache, die so leicht dahin fließt - klar, genau und anschaulich. Hinzu kommen der Witz, die Genauigkeit und das differenzierte Hineinspüren in die Charaktere. Diesen Autoren gelingt
es meisterlich Schweres auch „leicht“ auszudrücken.
Haben Sie es jemals bereut, dass Sie Ihren sicheren Job in der Verwaltung zugunsten des Schreibens aufgegeben haben?
Nein, niemals.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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