Wie hat das hier eigentlich alles angefangen? Wie war das höfische Leben des Kurfürsten Clemens August? Warum ist das Schloss Herzogsfreude verloren gegangen? Was ist eine Parforcejagd und wie hat Clemens August Röttgen bis heute geprägt? Wo waren die Tongruben in Röttgen und was ist aus ihnen geworden? Was verraten Straßennamen über Röttgens Geschichte und warum hat Clemens August die kleine Kapelle an der Reichsstraße ausgerechnet den Schutzheiligen St. Venantius und St. Hubertus geweiht und wer waren die beiden überhaupt?... Fragen über Fragen hatten die Schüler der vierten Klassen der Schlossbachschule bei einer Heimatkundeführung durch Röttgen.
Heimatkunde gehört zum festen Lehrplan in der Schlossbachschule. Alle vierten Klassen befassen sich mit der Geschichte der Ortschaften Ückesdorf und Röttgen. „Es ist uns wichtig, dass die Kinder, etwas über den Ort erfahren, in dem sie wohnen und täglich zur Schule gehen“, erklärt Lehrerin Johanne Müller während der Sightseeing-Tour durch Röttgen. Schon
vorher haben die Schülerinnen und Schüler einiges im Unterricht über die Entstehung der Ortschaften wie Jahreszahlen der ersten urkundlichen Erwähnung, die Bevölkerungszahl, den Götgesbach als natürliche Grenze zwischen Röttgen und Ückesdorf sowie die geographische Lage der Ortschaften erfahren. Dass die Ortschaften, deren Einwohnerzahl heute bei rund 10 000 liegt einst aus 12 kleinen Häusern entstanden sind und sich der Ortsname Röttgen von roden ableitet, wussten sie alle schon.
Dennoch gab es auf der Tour durch den Ort noch reichlich Unbekanntes zu entdecken – auch für die drei Klassenlehrerinnen. „Wir kommen alle nicht aus Röttgen oder Ückesdorf“, sagt Dagmar Knuppertz, „deshalb haben wir in diesem Jahr überlegt, ob und wen wir als ortskundigen Führer bitten könnten, uns mit den Kindern zu begleiten.“ Abgesehen davon erhöhe schon eine andere Stimme und Erzählweise als die der gewohnten Klassenlehrerin die Aufmerksamkeit der Kinder. Eine heimatkundlich interessierte Mutter zweier ehemaliger Schlossbachschüler übernahm den Part der Fremdenführerin und nahm die Kinder mit auf eine Märchentour durch Röttgen.
Geschichten um das verlorene Schloss Herzogsfreude , den Kurfürsten Clemens August (1700-1761), der ein Fan der heute verbotenen Parforcejagd war, die Vorstellung des von Armut geprägten Lebens der Tagelöhner und Kleinbauern bis hin zum höfischen Leben unter Clemens August faszinierten die Mädchen und Jungen gleichermaßen. „Eigentlich ist es schade, dass es nur noch das Bronzemodell von Schloss Herzogsfreude hier gibt und nicht mehr das echte Schloss“, bedauerte nicht nur eine Schülerin. Aber immerhin existiert ja noch die unter Clemens August erbaute und später mehrfach erweiterte Kapelle St. Venantius, deren Türen die Küsterin Frau Witthaus eigens für die Schülergruppen geöffnet hatte. Die Innenbesichtigung der Kapelle, die sonst nur zu Gottesdiensten Montags und Freitags geöffnet ist, freute insbesondere diejenigen, die hier tatsächlich getauft wurden. Aber auch für die Übrigen war die spürbare Nähe zu Clemens August –neben der Besichtigung des Schlossplatzes- ein echtes Highlight.
Die Kurfürstenhalle, auch als Gasthaus Stupp bekannt, das Kriegerdenkmal und die alte Schule, die ältesten und heute sehr schön restaurierten Häuser Röttgens wurden ebenfalls kurz vorgestellt, bevor sich die Gruppe auf die Suche nach einem „Haus im Dornröschenschlaf“ begab. Das mit Efeu und Gestrüpp vollkommen zu gewucherte und verfallene Fachwerkhaus war schnell gefunden. Dornröchen warte hier zwar nicht darauf wachgeküsst zu werden, vielleicht aber das Haus?
Zuletzt erfuhren die Viertklässler noch einiges über die Straßen, durch die sie an St. Martin ziehen werden. So habe die Dorfstraße in ihrem heutigen Erscheinungsbild kaum mehr etwas mit den früheren Zeiten gemein, dennoch ist sie die älteste Straße Röttgens, von der aus sich der Rest des Ortes entwickelt hat. Die Blumenstraße, die mit ihren Häusern recht unscheinbar daherkommt hat ihren Ursprung dem „Reichsheimstättengesetz“ von 1920 zu verdanken. In einer Zeit, die durch hohe Arbeitslosigkeit geprägt war verpflichteten sich Röttgener Arbeitslose, in einer Art sozialen Wohnungsbaus, ihre volle Arbeitskraft im Sinne der Selbst- und Nachbarschaftshilfe zur Errichtung der Kleinsiedlung zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug erwartete sie eine Anwartschaft auf die erbauten Häuser, die unter
ihnen verlost wurden.
Was es mit dem Straßennamen „Am Wolfsgraben“ auf sich hat und warum die „Hölle“ Hölle heißt wurde auch noch schnell geklärt. Durch die Hölle führt der Schulweg der Ückesdorfer Kinder. So mutmaßten einige Ückesdorfer Kinder, dass die Hölle so heiße, weil die letzte Steigung des Schulweges, wenn man mit den Fahrrad unterwegs sei, nun wirklich die Hölle ist. Das stimme zwar, bestätigte die Führerin, erkläre aber nicht die Namensherkunft. Genauso wenig stimmten hartnäckige Gerüchte, die behaupten, dass hier einst eine Frauenleiche gefunden wurde. Nein, das Wort Hölle leitet sich aus dem Mittelhochdeutschen „helde“ ab, was schlichtweg einen mit Gebüsch bewachsenen Hang bezeichnet. Und „Am Wolfsgraben“ wurden bis ca. 1891 -wie der Name sagt- Wölfe in einer Wolfsgrube gefangen.
Dann und wann riefen einige Kinder während der Tour: “Hier komme ich jeden Tag auf meinem Schulweg vorbei“ oder „ Da wohne ich“ oder „Da in dem Haus wohnt mein Onkel“ oder „In Ückesdorf gibt es auch eine kleine Kapelle“…So diente die Tour nicht nur zum besseren Kennenlernen der Heimat, sondern auch zur besseren Identifikation der Kinder mit Ihrem Wohnort.
Am Ende war zudem klar: Ein dunkler Wald, Wölfe, ein Schloss, ein zu gewuchertes Haus, die Armut der Menschen in vergangenen Jahrhunderten, eine kleine, urige Kapelle…- Röttgen hätte tatsächlich auch Schauplatz vieler Grimm´scher Märchen sein können.
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