Kein Zacheies ohne Paul Imhoff

Paul und Agnes Imhoff präsentieren den "schönsten Mann Röttgens".
Paul und Agnes Imhoff präsentieren den "schönsten Mann Röttgens".

Kirmes im Rheinland steht für „Spaß an der Freud“! Während die Kinder auf den Karussells vor Vergnügen quietschen und sich an den Buden über ihre Gewinne freuen, schwingen die Großen im Festzelt das Tanzbein und amüsieren sich bei Kölsch, Rievkoche und Sauerbraten oder beim Klaaf mit Nachbarn und Freunden. Nur einem steht am Ende einer jeden Kirmes ein tragisches Schicksal bevor: dem Zacheies, Nubbel oder Paias, wie der Kirmesmann auch genannt wird. Ihm werden jedes Jahr aufs Neue die Sünden eines ganzen Dorfes aufgebürdet, für die er – wie es die Tradition verlangt- nach einem ordnungsgemäßen Prozess brennen muss. Das kurze Leben des Zacheies wirft unweigerlich die Frage nach seiner jährlichen Reinkarnation auf und führt auf direktem Weg zu Paul Imhoff.

 

Imhoff ist der „Vater“ der Röttgener Lumpenmänner. Seit sage und schreibe 35 Jahren sorgt er Jahr für Jahr für Nachschub. Die Kunst des Puppenmachens habe er sich selbst angeeignet, sagt der heute 80- Jährige. Nachdem sich Röttgens Junggesellenverein, der bis dahin für die Figur des Zacheies verantwortlich war, aufgelöst hatte, drohte die erste Kirmes ohne Strohpuppe. Undenkbar! –fand auch Imhoff. „Das wäre doch gelacht gewesen, wenn wir keinen Zacheies für die Kirmes zustande gebracht hätte“, erzählt er. Imhoff fackelte nicht lange und fertigte 1981 seinen ersten Lumpenmann. Seither ist er quasi Röttgens „amtlicher Kirmesmann-Designer“.

 

In diesem Jahr hatte Imhoff nur wenig Arbeit mit dem Zacheies. Denn –wir erinnern uns- der letzte Zacheies wurde in einem Sensationsprozess erstmalig freigesprochen und an seiner Statt der Lengsdorfer Kirmesmann für alle Vergehen dem Feuer übergeben. „Unser Zacheies hat in dem Jahr ein wenig an Spannkraft verloren, so musste ich ihn nur ein wenig mit Stroh aufpolstern. Ansonsten ist der Mann noch tipptopp in Schuss“, beteuert Imhoff.

 

In den letzten zwei Jahren erschuf Imhoff gemeinsam mit Dieter Schirra den schönsten Mann Röttgens. Zu zweit dauere es etwa zwei bis drei Stunden, um die lebensgroße Strohpuppe anzufertigen, die aus einem Holzkreuz sowie einem mit Stroh ausgestopften Maleranzug besteht, der alljährlich von Sybille Hecker gespendet wird, und zuletzt mit Hemd, schwarzem Anzug und buntem Schlips und festem Schuhwerk eingekleidet wird. Am kniffligsten sei die Gestaltung der Hände: „Da sitze ich auch schon mal mit Sacknadel und Faden, zurre alles ordentlich zusammen und nähe sie an die Ärmel an“, erzählt er. Und wie lange dauert es den Zachjeies alleine anzufertigen? „Na ja, so drei Wochen, je nach Lust und Laune“, antwortet Imhoff, „Aber eine Woche vor der Kirmes ist er fertig – immer!“

 

Nun ja, nach weit über 30 Jahren kennt der Rentner jeden Tick und jeden Kniff, den dieses Handwerk erfordert. Allerdings sucht er nach dem unerwarteten Tod Dieter Schirras erneut händeringend einen Lehrling, dem er sein Wissen weitergeben kann, sachlich fügt er hinzu: „Wer weiß wie lange ich das noch machen kann“.

 

Röttgens Kirmesmann - das Toppmodell unter allen Zacheiesen

Zurück zum Kirmesmann aus 2015. Was viele nicht wissen: Dieser Zacheies ist ein neuer Prototyp. Der Mann hat nämlich nicht wie all seine Vorgänger Stroh im melonenförmigen Kopf. Nein, mit seinem wohlgeformten Kunststoffkopf und den feinen Gesichtszügen ist er definitiv das Supermodel unter den Kirmesmännern in der gesamten Region. „Der Kopf stammt von einer Schaufensterpuppe“, erzählt Imhoff. Die Idee dazu hatte „Puppenmacher-Geselle“ Dieter Schirra, der ihn –woher auch immer -organisiert habe. Das Gesicht erhält der Zacheies schon seit Jahr und Tag von Hans-Josef Fabritius. „Er ist der Künstler unter uns und deshalb für das Aufmalen des Gesichtes verantwortlich“, so Imhoff. Und auch Imhoffs Frau, Agnes, legt hier und da Hand beim Bau der Puppe an. Sitzen Schlips oder Kappe schief, zupft und ruckt sie so lange daran herum, bis alles perfekt sitzt und der Mann der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Das freut natürlich die jeweils amtierende Maikönigin, die den Eröffnungstanz zu Beginn der Kirmes traditionsgemäß mit dem Zacheies absolviert. Wer tanzt schon gern mit einem unordentlichen Lumpenmann? Meist steckt der Röttgener Zacheies in einem schicken schwarzen Anzug mit Schlips und Kragen. „Einmal aber war er auch mit einem funkelnagelneuen Trachtenanzug und einem Tiroler-Hut auf dem Kopf bekleidet“, plaudert der Rentner, „Es hat mir in der Seele weh getan, als der verbrannt

wurde.“ Die Klamotten stammen von Freunden, Nachbarn und Verwandten. Früher auch aus Imhoffs eigenem Kleiderschrank. Auch mit seinen 80 Jahren ist Paul Imhoff noch ein großer, stattlicher Mann. Mit zunehmendem Alter wünschten sich die Maiköniginnen jedoch einen leichteren und handlicheren Tanzpartner. Kleinere Konfektionsgrößen mussten her; seitdem bleibt Imhoff auf seinen alten Anzügen sitzen.

 

Eine Schicksalsgemeinschaft

Aber auch sonst ist das Schicksal des Zacheies eng mit seinem eigenen verknüpft. Natürlich hält Imhoff während der Kirmestage ein wachsames Auge auf seine Schöpfung. Die Entführer lauern schließlich hinter jedem Stein und jeder Hecke. Vor allem in seinen jungen Jahren habe er großen Ehrgeiz in das diebstahlsichere Aufhängen und die Bewachung des Zacheies

gesteckt. „Da habe ich mich immer schrecklich aufgeregt, wenn der Kerl dann doch wieder geklaut worden war.“ Zwei Diebstähle sind ihm als besonders ärgerlich im Gedächtnis geblieben: „Stellen Sie sich vor“, sagt er, und die Entrüstung ist ihm noch heute –nach so vielen Jahren- deutlich anzumerken, „stellen Sie sich vor, da hat doch mein EIGENER Sohn den Zacheies geklaut!“ Und als ob das nicht schon schmählich genug gewesen wäre, hat er den Kirmesmann obendrein noch unter Paul Imhoffs eigenem Bett versteckt! Während Imhoff sich Nacht für Nacht den Kopf darüber zermarterte, wer der Dieb sein könnte und wohin dieser den Lumpenmann entführt haben mochte, hatten alle andern im Dorf ihren Spaß. „Denn, von den Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr, des Festausschusses bis hin zu Nachbarn und Freunden waren nun wirklich alle im Ort eingeweiht, außer mir“, erzählt er lachend.

 

Das kratzt natürlich an der Ehre! So tüftelte Imhoff einen todsicheren Plan für die nächste Kirmes aus. Das rote Backsteinhaus vor dem ehemaligen katholischen Kindergarten schien ihm absolut diebstahlsicher. „Die Lage war perfekt. Das Haus stand genau am Festzelt. Einen belebteren, besser einsehbaren Platz konnte es einfach nicht geben.“ Mehr noch, über eine lange Leiter erklomm Imhoff den zweiten Stock, trieb einen dicken Nagel ins Mauerwerk und hängte den Zacheies weithin sichtbar auf. Siegessicher aber dennoch äußerst achtsam amüsiert er sich nach getaner Arbeit mit Nachbarn und Freunden auf der Kirmes, um dann in einem kurzen Moment der Ablenkung doch nicht mitzukriegen, wie sich die Entführer (unter denen sich auch ehrenwerte Mitglieder der hiesigen freiwilligen Feuerwehr befanden!) klammheimlich der Rückseite des Hauses näherten, von dort auf das Dach kletterten und den Zacheies mit einer langen Stange vom Haken fischten.

 

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass ganz gleich, wie ausgeklügelt ein Plan auch ist, es stets einen noch perfideren gibt, der den Kirmesmann seinem unausweichlichen Schicksal zuführt. Jedes Jahr von neuem wird er entführt, gegen eine Lösegeldforderung meist in Form mehrerer Kisten Bier eingelöst, verurteilt und verbrannt. Dennoch vor Überraschungen ist man auch hier nicht sicher, wie der Prozess im letzten Jahr gezeigt hat. Man darf also gespannt sein, was dem schönsten Mann Röttgens in diesem Jahr blühen mag!

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